Osho Mahabodhi Meditation-Center

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Frage: "Was meint Tantra mit der »Reinigung des Geistes«, der »Reinheit des Geistes«, als Grundvoraussetzung für alles weitere Vorankommen?"

 

Alles, was im Allgemeinen unter »Reinheit« verstanden wird, hat nichts mit dem zu tun, was es für Tantra bedeutet. Gewöhnlich teilen wir alles in Gut und Böse auf. Diese Unterscheidung mag aus allen möglichen Gründen gemacht werden — hygienischen, moralischen oder sonst welchen — aber wir trennen das Leben immer in zwei Hälften: gut und schlecht. Gewöhnlich meinen wir mit »Reinheit« das »Gute«. Die »schlechten« Eigenschaften sind nicht erlaubt, und die »guten« Eigenschaften sind erwünscht. Aber für Tantra ist diese Unterscheidung in »Gut« und »Böse« bedeutungslos. Tantra betrachtet das Leben ohne jede Dicho-tomie, ohne jede Dualität, ohne jede Teilung. Was meint Tantra also dann mit »Reinheit«? — eine sehr wichtige Frage.


Fragt ihr einen Heiligen, so sagt der, daß alle Wut, aller Sex, alle Gier schlecht ist. Fragt ihr Gurdjieff, so sagt er, daß Negativität schlecht ist, daß jede Emotion, die negativ ist, schlecht ist, und daß es gut ist, positiv zu sein. Wenn ihr die Jainas, Buddhisten, Christen, Hindus oder Moslems fragt, werden sie alle Gut und Böse jeweils anders definieren. Aber Definitionen haben sie. Sie nennen gewisse Dinge gut und gewisse Dinge schlecht. Es fiele ihnen also nicht schwer zu definieren, was Reinheit ist. Was immer sie für gut halten ist rein, was immer sie für schlecht halten ist unrein.


Aber im Tantra wird es zu einem tiefen Problem. Tantra macht keine oberflächliche Unterscheidung zwischen Gut und Böse. Was ist dann also Reinheit? Tantra sagt, daß es unrein ist, wenn man aufteilt, und daß es rein ist, wenn man in Ungeteiltheit lebt. Im Tantra bedeutet Reinheit also Unschuld — Unschuld, die keine Unterscheidungen macht.—


Seht euch ein Kind an: Ihr nennt es rein. Es wird wütend, es ist gierig — warum nennt ihr es also rein? Was ist an der Kindheit rein? Unschuld! Und im Geist eines Kindes gibt es keine Trennlinien. Denn das Kind ist sich keiner Trennung zwischen gut und schlecht bewußt. Dies Nicht-Wissen ist Unschuld. Selbst wenn es wütend wird, weiß es nichts von seiner Wut. Es ist ein reiner, einfacher Akt. Er passiert, und wenn die Wut geht, geht sie ganz. Nichts bleibt zurück. Das Kind ist wieder wie zuvor, so als hätte es die Wut nie gegeben. Seine Reinheit bleibt davon unberührt. Seine Reinheit bleibt die gleiche. Ein Kind ist also rein, weil es nicht denkt.


Je mehr das Denken zunimmt, desto mehr verliert das Kind seine Reinheit. Dann wird die Wut Absicht, sie ist nicht mehr spontan. Jetzt unterdrückt das Kind manchmal seine Wut, wenn die Situation es nicht erlaubt. Und wenn die Wut unterdrückt wird, dann wird sie manchmal auch auf eine andere Situation übertragen. Nun wird man wütend, wenn es dafür gar keinen Grund gibt, weil die unterdrückte Wut irgendein Ventil braucht. Und damit wird alles unrein, weil sich nun das Denken eingemischt hat.


Ein Kind kann in unseren Augen ein Dieb sein, aber vor sich selbst ist ein Kind niemals ein Dieb, weil die bloße Vorstellung, daß die Dinge einzelnen Menschen gehören, noch nicht in ihm existiert. Wenn es deine Uhr nimmt, dein Geld oder sonst etwas, ist das für ihn kein Diebstahl, weil die bloße Vorstellung von Eigentum für es nicht existiert. Sein Diebstahl ist rein, wohingegen sogar euer Nicht-Diebstahl unrein ist; denn der Kopf ist da.


Tantra sagt, daß man rein ist, wenn man wieder zu einem Kind wird. Natürlich ist man kein Kind, sondern lediglich wie ein Kind. Da gibt es sowohl einen Unterschied als auch eine Ähnlichkeit. Die Ähnlichkeit ist die wieder gewonnene Unschuld. Man ist wieder wie ein Kind. Ein Kind geht nackt: Kein Mensch empfindet es als Nacktheit, weil ein Kind sich seines Körpers noch nicht bewußt ist. Seine Nacktheit unterscheidet sich wesentlich von eurer Nacktheit. Ihr seid euch eures Körpers bewußt.


Der Weise muß diese Unschuld wiedergewinnen. Mahavir steht wieder nackt da. Seine Nacktheit hat wieder die gleiche Unschuldsqualität. Er hat seinen Körper vergessen; er ist nicht mehr der Körper.


Aber es gibt auch einen Unterschied, und zwar einen sehr großen. Das Kind weiß einfach überhaupt nichts; das macht seine Unschuld aus. Aber der Weise ist weise: Das macht seine Unschuld aus.


Das Kind wird sich eines Tages seines Körpers bewußt und empfindet dann seine Nacktheit. Es wird sie zu verstecken suchen, wird sich schuldig fühlen, sich schämen. Es wird bewußt. Seine Unschuld ist also eine Unschuld des Nichtwissens. Wissen wird sie zerstören.
Das ist die Bedeutung der biblischen Geschichte der Vertreibung von Adam und Eva aus dem Paradies. Sie waren nackt wie die Kinder. Sie waren sich ihres Körpers nicht bewußt, sie wußten nichts von Wut, Gier, Wollust, Sex, von überhaupt nichts. Sie waren unbewußt. Sie waren wie Kinder — unschuldig.


Aber Gott hatte ihnen verboten, die Frucht vom Baum der Erkenntnis zu essen. Der Baum der Erkenntnis war verboten, aber sie aßen trotzdem davon — denn alles Verbotene wird reizvoll. Alles Verbotene wird verlockend! Sie lebten in einem großen Garten mit unzähligen Bäumen, aber der Baum der Erkenntnis wurde wichtiger als alle anderen, und zwar deshalb, weil er verboten war. Tatsächlich machte allein dieses Verbot seine Attraktion aus, seinen Reiz. Sie waren wie magnetisiert, hypnotisiert von dem Baum. Sie konnten ihm nicht ausweichen. Sie mußten davon essen.


Aber diese Geschichte ist deshalb schön, weil der Baum »Baum der Erkenntnis« heißt. Kaum hatten sie von der Frucht des Baumes gegessen, wurden sie nicht-unschuldig. Sie wurden bewußt; es wurde ihnen bewußt, daß sie nackt waren. Sofort versuchte Eva, ihren Körper zu verstecken. Und als sie sich des Körpers bewußt wurden, nahmen sie alles andere auch wahr —

Wut, Wollust, Gier, alles ... Sie waren nun erwachsen, und so wurden sie aus dem Garten verstoßen.


In der Bibel ist Wissen also gleich Sünde. Sie wurden wegen ihres Wissens aus dem Garten verstoßen, bestraft. Nur wenn sie wieder wie Kinder würden, unschuldig, unwissend, könnten sie wieder in den Garten hinein. Sie können das Reich Gottes erst dann wieder betreten, wenn diese Bedingung erfüllt ist: wieder unschuldig werden! Die ganze Sache ist nichts weniger als die Geschichte der Menschheit. Jedes Kind wird aus dem Garten Eden verstoßen, nicht nur Adam und Eva. Jedes Kind lebt seine Kindheit in Unschuld, ohne das geringste zu wissen. Es ist rein, aber es ist die Reinheit der Unwissenheit. Sie kann nicht immer währen. Solange sie nicht zur Reinheit des Wissens wird, ist sie wertlos. Sie muß verschwinden. Früher oder später muß man in den Apfel des Wissens beißen.


Jedes Kind wird von der Frucht des Wissens essen müssen; im Garten Eden ging das noch leicht, da gab es einfach einen Baum. Zum Ersatz für den Baum haben wir heute Schulen und Universitäten. Jedes Kind muß da durch, muß nicht-unschuldig werden, muß seine Unschuld verlieren. Um überhaupt in der Welt zu existieren, braucht man Wissen. Zum bloßen Überleben braucht man Wissen, wir können nicht ohne Wissen existieren. Und mit dem Wissen kommt auch die Spaltung. Ihr fangt an, zwischen Gut und Schlecht zu unterscheiden.
Für Tantra ist das Unreine also die Unterscheidung zwischen Gut und Böse. Vorher bist du rein, nachher bist du rein, dazwischen bist du unrein. Aber Wissen ist ein notwendiges Übel. Ihr könnt es nicht umgehen. Man muß da durch, das gehört zum Leben. Aber: Man muß nicht immer darin bleiben. Man kann darüber hinausgehen. Transzendenz macht dich wieder rein und unschuldig. Wenn alle Unterscheidungen ihre Bedeutung verlieren, wenn das Wissen, welches zwischen Gut und Böse unterscheidet, nicht mehr ist, könntest du wieder mit unschuldigen Augen auf die Welt blicken.


Jesus sagt: »Nur wenn ihr wieder wie die Kinder werdet, könnt ihr in mein Himmelreich eingehen.« »Nur wenn ihr wieder wie die Kinder werdet ...« — das ist die Reinheit des Tantra.

 

Lao Tse sagt: »Nur ein Daumenbreit an Unterscheidung, und es gibt Himmel und Hölle.«


Un-Geteiltheit ist der Geist des Weisen — nicht die geringste Teilung. Ein Weiser weiß nicht, was gut oder was schlecht ist. Er ist wie ein Kind — aber auch wieder nicht, denn er hat die Spaltung kennengelernt. Er ist durch diese Spaltung gegangen und hat sie transzendiert. Er ist darüber hinausgegangen. Er hat die Dunkelheit und das Licht gesehen, aber jetzt ist er darüber hinaus — jetzt sieht er Dunkelheit als Teil des Lichts und Licht als Teil der Dunkelheit. Jetzt gibt es keine Teilung mehr. Licht und Dunkel sind beides eins geworden — Abstufungen ein und desselben Phänomens. Jetzt sieht er alles als Nuancen eines gemeinsamen Ganzen. Wie entgegengesetzt sie auch sind, sie sind nicht zwei. Leben und Tod, Liebe und Haß, Gut und Böse, alles ist nur Teil eines einzigen Phänomens, einer einzigen Energie. Der Unterschied ist nur gradweise, und ein Trennstrich kann nirgends gezogen werden. Man kann keine Linie ziehen, daß »von hier an« unterschieden wird. Es gibt kein Unterscheiden.


Was ist gut? Was ist schlecht? Von wo aus kann man es definieren und als getrennt markieren? Es gehört immer zusammen. Es sind nur verschiedene Grade ein und derselben Erscheinung. Sobald dies bewußt empfunden wird, wird der Geist wieder rein. Das ist die Reinheit, die Tantra meint. Ich will tantrische Reinheit also als Unschuld definieren, nicht als Gutsein.


Unschuld kann unwissend sein. Dann ist sie wertlos und man muß sie verlieren; man muß daraus verstoßen werden, sonst kann man nicht reifen. Die Unschuld aufgeben und das Wissen transzendieren, beides gehört zum Reifungsprozeß dazu, zum wirklichen Erwachsenwerden. Geht also da hindurch, bleibt dabei nicht stehen, geht weiter! Geht immer weiter. Es kommt der Tag, wo ihr beides hinter euch gelassen habt.


Darum ist tantrische Reinheit so schwer zu verstehen; sie kann leicht mißverstanden werden. Sie ist etwas sehr Delikates. Einen tantrischen Weisen zu erkennen ist praktisch unmöglich. Gewöhnliche Heilige und Weise sind zu erkennen, denn sie folgen euch — euren Maßstäben, euren Definitionen, eurer Moral. Ein tantrischer Weiser ist überhaupt nicht zu erkennen, weil er alle Unterscheidungen hinter sich gelassen hat. So überliefert uns die gesamte Geschichte des menschlichen Wachstums praktisch gar nichts über tantrische Weise. Nichts wird über sie gesagt oder aufgeschrieben; denn es ist sehr schwer, sie überhaupt zu erkennen.


Konfuzius kam zu Lao Tse. Der Geist von Lao Tse ist der Geist eines Erwachten, eines Weisen im tantrischen Sinne. Er hat das Wort Tantra nie gekannt, das Wort selbst würde ihm nichts sagen. Er hat nichts von Tantra gewußt, aber was er gesagt hat, ist reines Tantra. Konfuzius repräsentiert unsere Geisteshaltung. Er ist unser Erzrepräsentant. Er denkt ununterbrochen in Begriffen von Gut und Böse, was man tun sollte und was nicht. Er ist ein Legalist — der größte Legalist aller Zeiten. Er suchte Lao Tse auf und fragte ihn: »Was ist gut? Was sollte man tun? Was ist schlecht? Definiere bitte klar.«


Lao Tse sagte, daß Definitionen alles durcheinanderbringen, weil definieren unterscheiden bedeutet: dies ist dies und das ist das. Du grenzt ab und sagst: A ist A und B ist B. Damit hast du es entzwei geschnitten. Du sagst, A kann nicht B sein, und hast damit eine Trennung, eine Spaltung erzeugt — und die Schöpfung ist eins! A wird ständig zu B, A geht ständig zu B über. Leben wird immer zu Tod, Leben geht immer in den Tod über, wie also kann man da definieren? Kindheit geht in Jugend über und Jugend in Alter; Gesundheit geht in Krankheit über und Krankheit in Gesundheit. Wo will man da den Trennstrich ziehen?


Leben ist eine einzige Bewegung. Und sobald ihr definiert, bringt ihr alles durcheinander, weil Definitionen tot sind, und das Leben eine lebendige Bewegung ist. Definitionen stimmen also nie. Lao Tse sagt, daß das Definieren Unwahrheit schafft: »Definiere also nicht. Sage nicht, was gut und was schlecht ist.«


Da fragte Konfuzius: »Was sagst du da? Wie soll man dann die Menschen führen und lenken? Wie kann man sie dann lehren? Wie kann man sie moralisch und gut machen?«


Lao Tse antwortete: »Wenn jemand einen anderen gut machen will, dann ist das in meinen Augen eine Sünde. Wer bist du, andere zu führen? Wer bist du, zu lenken? Und je mehr Führer, desto mehr Verwirrung. Überlasse jedem sich selbst. Wer bist du?«
So eine Haltung scheint gefährlich. Sie ist es auch! Keine Gesellschaft darf auf solche Haltungen gegründet werden. Konfuzius ließ nicht locker, aber Lao Tse antwortete nur kurz und bündig: »Die Natur genügt, Moral ist nicht nötig. Die Natur ist spontan, die Natur genügt. Es werden keine aufgesetzten Regeln und Gesetze gebraucht. Unschuld ist genug. Wissen ist nicht nötig.«


Konfuzius ging sehr verstört von dannen. Er konnte nächtelang nicht schlafen, und seine Schüler fragten ihn: »Erzähle uns von der Begegnung. Was ist geschehen? « Konfuzius antwortete: »Er ist kein Mensch, er ist ein Monster, ein Drachen. Er ist kein Mensch. Meidet die Gegend, wo er sich aufhält. Wo immer ihr hört, daß Lao Tse in der Nähe ist, dann flieht von dem Ort. Er wird euch völlig um den Verstand bringen.«


Und das stimmt. Denn für Tantra geht es einzig darum, wie man über den Verstand hinausgelangt. Tantra muß unweigerlich den Verstand zerstören. Der Verstand lebt aus Definitionen, Gesetzen, Regeln. Alles Denken ist Ordnen. Aber vergeßt nicht — Tantra ist darum nicht Unordnung. Und das ist ein sehr feiner Punkt, den man verstehen muß.


Konfuzius konnte Lao Tse nicht verstehen. Als er gegangen war, lachte Lao Tse aus vollem Halse, so daß ihn seine Jünger fragten: »Was lachst du so, was ist denn passiert?« Lao Tse soll gesagt haben: »Der Verstand ist ein'solches Brett vorm Kopf! Selbst der Verstand eines Konfuzius ist ein Brett vorm Kopf. Er hat mich überhaupt nicht verstanden, und was immer er über mich sagen mag, wird ein Mißverständnis sein. Er glaubt, daß er Ordnung in die Welt bringt. Man kann die Welt nicht in Ordnung bringen. Sie hat schon eine innewohnende Ordnung, und die ist immer da. Wer künstlich eine Ordnung herstellen will, stiftet nur Unordnung.« Lao Tse sagte: »Er denkt jetzt, daß ich Unordnung schaffe; und dabei ist er es, der die Unordnung schafft. Ich bin gegen jede aufgezwungene Ordnung, weil ich an eine spontane Disziplin glaube, die automatisch kommt und wächst. Sie braucht nicht auferlegt zu werden.«


Genauso sieht Tantra die Dinge. Für Tantra ist Unschuld gleich Spontaneität, Sahajata — du bist du selbst, ohne jeden Zwang. Sei einfach du selbst und wachse wie ein Baum; nicht wie der Baum eurer Gärten, sondern wie der Baum eurer Wälder, wildwachsend, ohne geführt zu werden; denn geführt werden heißt verführt werden — für Tantra ist jede Führung Verführung —, nicht geführt also, nicht behütet, nicht gelenkt, nicht motiviert, sondern einfach nur wachsend.


Das innere Gesetz genügt. Ein anderes Gesetz ist nicht nötig. Und wenn du ein anderes Gesetz brauchst, so zeigt das nur, daß du das innere Gesetz noch nicht kennst. Du hast den Kontakt mit ihm verloren. Das Wahre ist also nicht etwas Aufgezwungenes. Das Wahre ist es, das Gleichgewicht wiederzugewinnen, wieder zum Zentrum zurückzukehren, wieder nach Hause zurückzukehren, und so das wirkliche, das innere Gesetz zu finden.


Aber nach Auffassung der öffentlichen Moral, der Religionen, der so genannten Religionen, muß die Ordnung erzwungen werden, muß »das Gute« von oben erzwungen werden, von außen. Alle Religionen, Moralprediger, Priester und Päpste halten euch für böse von Geburt an, das dürft ihr nicht vergessen. Sie glauben nicht an das Gute im Menschen. Sie glauben nicht an irgendein gutes Inneres. Sie halten euch für verdorben — so daß ihr gar nicht gut sein könnt, es sei denn, daß ihr dazu erzogen werdet, es sei denn, daß ihr von außen zum Guten gezwungen werdet. Daß es von innen kommen könnte, ist ausgeschlossen.


Für die Priester, die frommen Leute, die Moralisten seid ihr von Natur aus schlecht. Das Gute ist eine Disziplin, die von außen erzwungen wird. So, wie ihr seid, seid ihr ein einziges Chaos. Sie sind es, die da Ordnung hineinbringen müssen! Sie stiften Ordnung — und gerade sie sind es, die die ganze Welt durcheinander gebracht haben, die ein Chaos, ein Irrenhaus aus ihr gemacht haben, nur weil sie Jahrhunderte lang nichts anderes taten, als für Ordnung und Disziplin zu sorgen. Sie haben euch so sehr belehrt, daß ihr, die Belehrten, verrückt geworden seid.


Tantra glaubt daran, daß ihr von innen her gut seid. Merkt euch diesen Unterschied. Tantra sagt, daß jeder gut geboren wird, daß das Gute eure Natur ist. Das ist tatsächlich so! Ihr seid bereits gut. Was ihr braucht, ist natürliches Wachstum. Ihr braucht keinerlei Zwang. Darum gilt nichts für schlecht. Wenn Wut da ist, wenn Sex da ist, wenn Gier da ist, dann sind, so sagt Tantra, auch diese Dinge gut. Alles was fehlt, ist dies: daß ihr nicht in euch selbst zentriert seid; darum wißt ihr diese Dinge nicht zu nutzen. Nur deshalb!


Wut ist nichts Schlechtes. Das wahre Problem ist, daß ihr dann nicht bei euch seid; nur darum richtet Wut Unheil an. Wenn ihr dabei in euch anwesend sei, wird Wut zu einer gesunden Energie, wird Wut etwas Gesundes. Wut, zu Energie transformiert, wird gut. Alles was es gibt, ist gut. Tantra glaubt an das innewohnende Gute von allem. Alles ist heilig. Nichts ist unheilig und nichts ist böse. Für Tantra gibt es keinen Teufel, sondern nur göttliche Existenz.


Die Religionen können ohne den Teufel nicht auskommen. Sie brauchen einen Gott, und sie brauchen auch einen Teufel. Laßt euch nicht täuschen, wenn in ihren Tempeln nur ein Gott zu finden ist. Gleich hinter dem Gott versteckt ist der Teufel, und keine Religion kann ohne Teufel auskommen.


Irgend etwas muß verdammt werden, etwas muß bekämpft werden, etwas muß zerstört werden. Das Ganze wird nie akzeptiert, sondern immer nur ein Teil. Das ist grundsätzlich so. Keine Religion akzeptiert euch total, sondern immer nur teilweise. Es heißt: »Wir akzeptieren eure Liebe, aber nicht euren Haß. Rottet den Haß aus.« Und das ist ein sehr tiefes Problem, denn wenn ihr den Haß völlig zerstört, wird dabei auch die Liebe zerstört, weil es nicht zwei verschiedene Dinge sind. Es heißt: »Wir akzeptieren eure Friedlichkeit, aber wir akzeptieren nicht eure Wut.« Zerstört die Wut, und alle Lebendigkeit wird mit zerstört. Dann wird man ein stiller, aber kein lebendiger Mensch — eine bloße Leiche. Eine solche Stille ist nicht Leben. Sie ist Kirchhofsstille. Alle Religionen spalten euch in zwei Teile: das Böse und das Göttliche. Sie sind für das Göttliche und gegen das Böse. Das Böse muß ausgerottet werden! Wer ihnen also bis zur letzten Konsequenz folgt, der macht am Ende die Entdeckung, daß er wenn er schließlich den Teufel zerstört hat, damit auch Gott zerstört hat. Aber niemand befolgt die Religionen wirklich. Das kann auch niemand, weil diese Lehre von vornherein absurd ist. Was macht man also? Alle tun nur so, als ob. Darum so viel Heuchelei. Heuchelei ist das Werk der Religionen. Ihr könnt das, was sie euch lehren, gar nicht tun, also werdet ihr zu Heuchlern. Würdet ihr ihnen folgen, würde es euch umbringen; folgt ihr ihnen aber nicht, fühlt ihr euch schuldig, denn ihr seid >unreligiös<. Was also tun?


Der schlaue Kopf macht einen Kompromiß. Er macht Lippendienst und sagt: »Ich folge euch ja«, und macht weiter, was er will. Man hält an der Wut fest, am Sex, am Geiz, aber verdammt den Geiz, die Wut, den Sex als schlecht, nennt ihn Sünde. Das ist Heuchelei. Die ganze Welt ist heuchlerisch geworden. Kein Mensch ist ehrlich. Ehe nicht diese Religionen verschwinden, die euch schizophren machen, kann niemand ehrlich sein. Das scheint paradox, weil doch alle Religionen die Ehrlichkeit predigen. Dabei sind sie die Ursache aller Unehrlichkeit. Sie machen euch unehrlich: denn sie fordern unmögliche Dinge von euch, die ihr gar nicht tun könnt, und machen euch so zu Heuchlern.


Tantra akzeptiert euch in eurer Totalität, in eurer Ganzheit, denn Tantra sagt: Entweder du akzeptierst etwas ganz oder lehnst es ganz ab. Es gibt kein Zwischending. Ein Mensch ist etwas Ganzes, ein organisches Ganzes. Man kann ihn nicht aufspalten. Man kann nicht sagen: »Diese Seite an ihm akzeptieren wir nicht«, weil das, was man dabei ablehnt, organisch mit dem zusammenhängt, was man akzeptiert.
Das wäre so, als zeigte jemand auf meinen Körper und sagte: »Den Blutkreislauf akzeptieren wir, aber das Geräusch, das das Herz dabei macht, nicht. Dieses ewige Pochen können wir nicht ertragen. Daß sein Blut kreist, das akzeptieren wir, das ist okay; das macht keinen Lärm.« Aber mein Blutkreislauf geht durch mein Herz, und mein Herzschlag hängt untrennbar mit meinem Blutkreislauf zusammen. Das eine bringt das andere mit sich. Was soll ich also tun? Mein Herz und mein Blutkreislauf sind eine organische Einheit. Sie sind nicht zwei, sie sind ein Ganzes.


Akzeptiert mich entweder ganz oder verwerft mich ganz. Aber versucht nicht, mich zu teilen, weil ihr dann nur Unwahrheit erzeugt, eine tiefe Unwahrheit. Wenn ihr meinen Herzschlag ständig verdammt, dann fange ich auch an, ihn zu verdammen. Aber ohne ihn kann mein Blut nicht zirkulieren, ohne ihn kann ich nicht leben. Was also tun? Laß alles beim Alten, behaupte aber gleichzeitig etwas zu sein, das du nicht bist, das du nicht sein kannst.


Es ist leicht zu erkennen, wie Herz und Blutkreislauf zusammenhängen. Aber es ist schwer zu erkennen, wie Liebe und Haß zusammenhängen. Sie sind eins. Wenn du jemanden liebst, was machst du? Es ist Teil eines organischen Vorgangs, wie das Ausatmen. Wenn du jemanden liebst, was tust du? Du gehst hinaus, ihm entgegen. Es ist wie Ausatmen. Wenn du jemanden haßt, ist es wie Einatmen.


Wenn du liebst, wirst du von jemandem angezogen. Wenn du haßt, wirst du abgestoßen. Anziehung und Abstoßung sind zwei Wellen ein und derselben Bewegung. Anziehung und Abstoßung sind nicht zweierlei, sie sind nicht zu trennen. Man kann nicht sagen: »Einatmen darfst du, aber ausatmen nicht« — oder umgekehrt. »Hier ist nur eines erlaubt. Entweder atme aus oder ein, beides darfst du nicht.« Aber wie sollst du einatmen, wenn du nicht ausatmen darfst? Und wenn du nicht hassen darfst, kannst du auch nicht lieben.


Tantra sagt, daß wir den ganzen Menschen akzeptieren sollen, weil der Mensch eine organische Einheit ist. Der Mensch ist eine tiefe Ganzheit: Nichts an ihm darf gebrochen werden. Und es muß so sein — denn wenn der Mensch keine organische Einheit ist, dann kann nichts in diesem Universum eine organische Einheit sein. Der Mensch ist die Krone aller organischen Ganzheit. Der Stein auf der Straße ist ein Ganzes. Der Baum ist ein Ganzes. Die Blume und der Vogel sind Ganzheiten. Alles ist eine Einheit. Warum also nicht der Mensch? Und der Mensch ist der Höhepunkt, die großartigste Einheit überhaupt, ein sehr komplexes, organisches Ganzes. Wirklich, man darf nichts an ihm ablehnen!


Tantra sagt: Wir akzeptieren dich so, wie du bist. Was aber nicht heißt, daß du dich nicht zu ändern brauchst. Was nicht heißt, daß du jetzt aufhören sollst zu wachsen. Ganz im Gegenteil heißt das, daß wir den Wurzelboden von allem Wachstum akzeptieren. Jetzt darfst du wachsen, aber dieses Wachsen wird nichts mit deiner Entscheidung zu tun haben. Dies Wachsen wird ein Wachsen ohne eigene Wahl sein.


Seht! Wenn zum Beispiel ein Buddha erleuchtet wird, können wir fragen: »Was ist aus seiner Wut geworden? Er war wütend, er war sexuell, wohin ist sein Sex also verschwunden? Wohin ist seine Wut verschwunden? Wo ist seine Gier?« Wir können jetzt keine Wut mehr in ihm erkennen — in einem Erleuchteten bleibt keine Spur von Wut zurück.


Könnt ihr den Schlamm in der Lotos-Blüte erkennen? Der Lotos kommt aus dem Schlamm! Wenn du noch nie gesehen hast, wie ein Lotos aus dem Schlamm emporwächst, und man bringt dir eine Lotosblüte, kannst du dir dann vorstellen, daß diese schöne Lotosblüte auf dem ganz gewöhnlichen Schlamm eines Teiches gewachsen ist? Dieser wunderschöne Lotos soll aus dem häßlichen Schlamm kommen? Ist in ihr noch irgendwo eine Spur von Schlamm zu erkennen? Er ist da — aber transformiert. Ihr Duft kommt aus eben diesem häßlichen Schlamm. Das rosige Weiß der Blütenblätter kommt aus eben diesem häßlichen Schlamm. Wenn du diese Lotosblüte wieder im Schlamm vergräbst, wird sie in wenigen Tagen wieder von ihrer Mutter verschlungen sein. Dann wirst du wieder nicht erkennen können, was aus diesem Lotos geworden ist. Wo — wo ist der Duft? Wo sind diese schönen Blütenblätter?


Ihr könnt euch in einem Buddha nicht wieder erkennen, aber der Mensch in ihm ist da. Natürlich auf einer bedeutenderen und höheren Ebene — transformiert. Der Sex ist da, die Wut ist da, der Haß ist da. Alles, was zum Menschen gehört, ist da ... Ein Mensch wie du — aber zu seiner höchsten Höhe herangewachsen. Er ist zu einer Lotosblüte geworden: Der Schlamm ist nicht mehr zu erkennen. Aber das heißt nicht, daß der Schlamm nicht da wäre. Er ist da, aber nicht als Schlamm. Es ist etwas Höheres daraus geworden.


Darum kann man bei einem Buddha weder Haß noch Liebe spüren. Dies zu verstehen wird noch schwieriger, weil ein Buddha so voller Liebe scheint — er haßt nie, er ist immer still, niemals wütend. Aber seine Stille ist anders als eure Stille. Es kann nicht das gleiche sein. Was ist eure Stille? Einstein sagt irgendwo, daß unser Friede nichts anderes ist als Vorbereitung zum Kriege. Zwischen zwei Kriegen ist eine Lücke des Friedens, aber dieser Friede ist kein wirklicher Friede. Er ist nur eine Pause zwischen zwei Kriegen und wird so zum kalten Krieg. Somit haben wir nur zwei Arten von Krieg — den heißen und den kalten.


Nach dem Zweiten Weltkrieg begannen Rußland und Amerika einen kalten Krieg. Es war kein Friede, sondern die Vorbereitung eines neuen Krieges. Sie rüsteten auf. Jeder Krieg verwüstet, zerstört. Ihr müßt wieder Kräfte sammeln, also braucht ihr eine Pause, ein Intervall. Aber wenn wirklich der Krieg aus der Welt verschwindet, dann wird auch dieser Frieden verschwinden, der doch nur ein kalter Krieg ist; denn er währt nur für die Zeit zwischen zwei Kriegen. Wenn aller Krieg völlig verschwindet, kann es den kalten Krieg, den wir Frieden nennen, nicht mehr geben.


Was ist eure Stille? Nur eine Vorbereitung zwischen zwei Wutausbrüchen. Wenn ihr entspannt zu sein scheint, was ist es wirklich? Seid ihr wirklich entspannt, wirklich gelöst, oder sammelt ihr nur neue Kräfte für eine neue Explosion, einen neuen Ausbruch? Wut ist Energieverschwendung, also braucht ihr hinterher wieder Zeit. Wenn ihr wütend werdet, könnt ihr nicht sofort danach wieder wütend werden. Wenn ihr in den Sexakt geht, könnt ihr ihn nicht sofort wiederholen. Ihr braucht Zeit, ihr braucht eine Periode von Brahmacharya, Enthaltsamkeit, mindestens zwei bis drei Tage. Es kommt auf das Alter an. Diese Enthaltsamkeit ist keine wirkliche Enthaltsamkeit: Ihr sammelt nur neue Kräfte. Zwischen zwei sexuellen Akten kann es kein Brahmacharya geben.


Ihr nennt die Zeit zwischen zwei Mahlzeiten »Fasten«. Darum sagt man im Englischen für Frühstück »breakfast«, »Fastenbrechen«. Aber was ist das für ein Fasten? Ihr habt nur einen neuen Anlauf genommen. Ihr könnt nicht unentwegt Essen in euch hineinstopfen. Ihr braucht eine Pause, aber diese Pause ist kein Fasten. Sie ist in Wirklichkeit die Vorbereitung auf eine neue Mahlzeit, kein Fasten.


Wenn wir also still sind, dann nur zwischen zwei Wutanfällen. Wenn wir gelöst sind, dann nur zwischen zwei Gipfeln der Anspannung. Wenn wir enthaltsam sind, dann nur zwischen zwei Sexakten. Wenn wir lieben, dann nur zwischen zwei Haßausbrüchen.


Vergeßt das nicht. Wenn Buddha also still ist, dann dürft ihr das nicht mit eurer Stille verwechseln. Denn wenn die Wut verschwunden ist, dann ist auch die Stille verschwunden. Sie gehören zusammen, sie können nicht getrennt werden. Wenn also ein Buddha ein Brahmachari ist, ein enthaltsamer Mensch, dann dürft ihr das nicht mit eurer Enthaltsamkeit verwechseln. Ist der Sex verschwunden, dann ist auch die Enthaltsamkeit fort. Beides gehört zusammen, also ist beides gemeinsam verschwunden. Mit einem Buddha tritt ein völlig neues Wesen auf, wie ihr es euch überhaupt nicht vorstellen könnt. Ihr könnt euch nur die Zwiegespaltenheit vorstellen, die ihr von euch selbst kennt. Ihr könnt euch nicht vorstellen, was für eine Art von Mensch das ist, was mit ihm geschehen ist.


Die ganze Energie ist auf eine andere Ebene gehoben worden, eine andere Seinsebene. Der Schlamm ist zum Lotos geworden, aber er ist nach wie vor vorhanden. Der Schlamm ist nicht aus dem Lotos entfernt worden, er wurde transformiert.


Alle eure inneren Energien werden also von Tantra akzeptiert. Tantra will absolut nichts verworfen wissen; Tantra will nur eines: Transformation. Und Tantra sagt, daß der erste Schritt ist, alles zu akzeptieren. Dieser erste Schritt ist sehr schwierig — alles zu akzeptieren. Vielleicht wirst du jeden Tag mehrere Male wütend, und es fällt dir sehr schwer, deine Wut zu akzeptieren. Wütend zu werden ist sehr leicht; deine Wut zu akzeptieren ist sehr schwer. Warum? Mit dem Wütendwerden hast du keine solche Schwierigkeiten, warum hast du dann soviel Schwierigkeiten, es zu akzeptieren? Wütend zu werden ist für dich weniger schlimm, als es zu akzeptieren. Jeder hält sich für einen guten Menschen, und Wut ist nur etwas Momentanes. Sie kommt und geht. Sie zerstört dein Selbstbild nicht. Für dich bleibst du weiterhin gut. Du sagst, daß es eben passiert ist. Das zerstört aber dein Ego nicht.


Die verschlagenen Leute bereuen also sofort. Erst werden sie wütend und hinterher bereuen sie. Sie bitten um Verzeihung. Das sind die Schlauen. Warum nenne ich sie schlau? Weil ihre Wut ihr Selbstbild ins Schwanken bringt. Es ist ihnen unbehaglich zumute. Plötzlich denken sie: »Ich — und wütend? Bin ich so schlecht, daß ich wütend werde?« Das Image des »guten Menschen« kommt ins Wanken. Jetzt muß er es wieder herstellen. Augenblicklich sagt er: »Dies war schlecht von mir. Ich will's nicht wieder tun, verzeih' mir.« Indem er um Vergebung bittet, wird sein Selbstbild repariert. Er ist wieder okay, wieder da, wo er vor der Wut war. Er hat seine Wut weggewischt, indem er um Verzeihung bat. Er hat sich nur deshalb schlecht genannt, um gut bleiben zu können.


Darum könnt ihr es euch leisten, ganze Leben lang wütend zu sein, sexuell zu sein, besitzergreifend zu sein, dies und das zu sein — ohne es je zu akzeptieren. Das ist der Trick des Verstandes. Was immer ihr tut — es spielt sich ja nur an der Peripherie ab! Im Mittelpunkt bleibst du gut. Wenn du aber akzeptierst, daß »Ich voll Wut stecke«, dann bist du damit böse bis in den Kern. Dann ist das nicht mehr nur ein Wütendwerden, dann ist es nicht nur momentan. Vielmehr erkennst du die Wut dann als einen Teil deiner Verfassung. Dann ist es nicht mehr der andere, der dich zur Wut reizt, dann ist die Wut auch da, wenn du allein bist. Auch wenn du nicht wütend bist, ist Wut da, die Wut ist deine Energie — ein Teil von dir.


Es ist nicht so, daß sie manchmal aufkommt und dann wieder verpufft — nein! Sie kann nicht aufflammen, wenn sie nicht sowieso da ist. Ihr könnt dies Licht hier anschalten, ihr könnt es ausschalten, aber der Strom muß dauernd da sein. Ist kein Strom da, könnt ihr es weder an- noch ausschalten. Der Strom, der Wutstrom, ist immer da, der Sexstrom ist immer da, der Gierstrom ist immer da. Ihr könnt ihn anschalten, ihr könnt ihn ausschalten. Ihr ändert euch, je nach Situation, aber innerlich bleibt ihr gleich.

 

Akzeptieren heißt nun, daß deine Wut kein momentaner Akt mehr ist, sondern daß du diese Wut bist. Sex ist nicht nur ein Akt, du bist Sex. Gier ist nicht nur ein Akt: du bist Gier. Dies zu akzeptieren heißt, dein Selbstbild über den Haufen zu werfen. Und wir alle haben uns wunderschöne Selbstbilder gebastelt. Jeder hat sich ein wunderschönes Selbstbild aufgebaut — ausgesprochen schön. Und nichts, was du tust, kann es antasten. Du beschützt es immerzu. Dein Image ist geschützt, also kannst du dich wohlfühlen. Darum kannst du wütend werden, kannst du sexuell werden, ohne daß es dich weiter stört. Aber wenn du akzeptierst und sagst: »Ich bin Sex, ich bin Wut, ich bin Gier«, dann bricht dein Selbstbild augenblicklich zusammen.


Tantra sagt, daß dies der erste Schritt ist, und der schwierigste — nämlich dich zu akzeptieren, ganz gleich, was du bist. Manchmal versuchen wir zwar, uns zu akzeptieren, aber wenn, dann geschieht es doch nur wieder aus Kalkül. Unsere Schlauheit sitzt tief und ist subtil, unser Verstand kennt feine Schliche des Betrugs.


Manchmal akzeptierst du und sagst: »Ja, ich bin wütend.« Aber daß du es akzeptierst, liegt nur daran, daß du schon daran denkst, die Wut zu überwinden. Dann akzeptierst du und sagst: »Okay, ich bin wütend. Und nun sag mir, wie ich es überwinden kann.« Du akzeptierst den Sex, um nicht mehr sexuell sein zu brauchen. Sobald du vorhast, dich zu verändern, kannst du dich akzeptieren — weil auch jetzt wieder dein Selbstbild aufrechterhalten bleibt, nämlich durch die Zukunft.


Du bist gewaltsam und möchtest gerne gewaltlos werden. Also akzeptierst du es und sagst: »Okay, ich bin gewalttätig. Heute bin ich noch gewalttätig, aber morgen bin ich gewaltlos, komme was da wolle.« Wie willst du da gewaltlos werden? Du vertagst dein Selbstbild auf die Zukunft. Du stellst dich dir nicht so vor, wie du jetzt bist, du stellst dich dir im Licht deines Ideals vor — gewaltlos, voller Liebe und Mitgefühl. Damit bist du in der Zukunft. Diese Gegenwart ist nur dazu da, zur Vergangenheit zu werden. Dein wahres Selbst ist in der Zukunft, also identifizierst du dich immer nur mit Idealen. Diese Ideale sind auch nur wieder Schliche, der Wirklichkeit auszuweichen. Du bist gewaltsam:

Das ist jetzt so. Und die Gegenwart ist das einzige, was existentiell ist: die Zukunft ist nicht. Deine Ideale sind nur Träume. Sie sind Tricks, dich zu vertrösten, deine Gedanken auf etwas anderes abzulenken.


Du bist gewalttätig. Das ist eine Tatsache, akzeptiere sie also. Und versuche nun nicht, nicht gewaltsam zu sein. Ein gewaltsamer Mensch kann nicht nicht-gewaltsam werden. Wie denn? Schau tief hinein — du bist gewaltsam, wie kannst du also gewaltlos sein? Alles, was du tust, wird von diesem gewalttätigen Menschen getan — aber auch alles! Selbst in deiner Bemühung, gewaltlos zu sein, stammt die Bemühung von einem, der gewalttätig ist. Du bist gewaltsam, also wirst du auch bei deinem Versuch, gewaltlos zu sein, gewaltsam sein. Noch in dem Bemühen, gewaltlos zu sein, wirst du jede Form von Gewalt anwenden.


Darum schließt du dich diesen Leuten an, die nach Gewaltlosigkeit streben: Sie mögen nicht gewaltlos mit anderen sein, aber sie sind es mit sich selbst, sie ermorden sich selbst. Und je mehr sie gegen sich selbst wüten, desto gefeierter sind sie. Wenn sie total verrückt und selbstmörderisch geworden sind, sagt die Gesellschaft: »Dies sind die wahren Weisen!« Aber sie haben nur den Gegenstand ihrer Gewalt verschoben, sonst nichts. Sie waren früher mit anderen gewaltsam, jetzt sind sie es mit sich selbst. Aber die Gewalt ist da. Und wenn du gegen einen anderen Gewalt anwendest, kann das Gesetz einschreiten, können die Gerichte helfen, wird dich die Gesellschaft verdammen. Aber wenn du die Gewalt gegen dich selbst richtest, gibt es keine Gesetze. Kein Gesetz kann dich vor dir selbst schützen.
Wenn der Mensch gegen sich selbst ist, gibt es keinen Schutz. Da ist nichts zu machen. Und es kümmert auch niemanden, denn es ist deine Sache. Niemand anders ist betroffen, es ist deine Sache. So genannte Mönche, so genannte Heilige, haben seit je Gewalt gegen sich selbst verübt. Das interessiert niemanden. »Macht meinetwegen weiter«, sagen die Leute, »es ist eure Sache.«


Wenn dein Geist von Habgier bestimmt wird, wie kannst du dann nicht-gierig sein? Der Gierige bleibt gierig. Was immer von ihm getan wird, um die Gier zu überwinden, wird nicht helfen. Natürlich können wir neue Formen der Gier entwickeln. Einen Geizhals kann man fragen: »Wozu willst du immer nur Geld anhäufen? Du wirst sterben und kannst dein Geld nicht mitnehmen.« So argumentieren nämlich die frommen Moralapostel — daß du dein Geld nicht mitnehmen kannst. Könnte man es nun aber doch, dann bräche diese ganze Logik zusammen. Natürlich spürt der Geizhals das Zwingende dieser Logik und sagt: »Klar, ich kann meinen Reichtum nicht mitnehmen!« Aber in Wirklichkeit möchte er es. Und so gewinnt der Priester Einfluß. Er beweist ihm, daß es Unsinn ist, Dinge anzuhäufen, die nicht über den Tod hinaus mitgenommen werden können. Er sagt: »Ich werde dir zeigen, wie du Dinge anhäufst, die du mitnehmen kannst. Tugend kannst du mitnehmen, Punya, gute Taten, kannst du mitnehmen, milde Gaben kannst du mitnehmen, aber deinen Reichtum nicht. Spende also dein Geld.«


Aber das ist ein Appell an seine Gier. Das heißt mit anderen Worten: Jetzt geben wir dir bessere Dinge, die du über den Tod hinaus mitnehmen kannst. Der Appell tut seine Wirkung. Der Habgierige denkt: »Du hast recht. Der Tod ist gewiß, und daran ist nichts zu ändern; ich muß also etwas tun, was ich mitnehmen kann. Ich muß mir auch in der Welt drüben ein Konto anlegen. Diese Welt, dies Konto, das ich hier habe, kann ich nicht ewig behalten.« So ähnlich redet er ständig.


Geht die heiligen Schriften durch — sie appellieren an eure Habgier. Sie sagen: »Was vergeudet ihr eure Zeit mit den Genüssen des Augenblicks?« Der Ton liegt auf »Augenblick«. Findet also irgendwelche ewigen Genüsse, dann ist alles okay. Sie sind also nicht gegen Genüsse überhaupt. Sie sind nur dagegen, daß sie momentan sind. Seht ihr die Gier? Manchmal läßt sich vielleicht ein ungieriger Mensch finden, der sich an momentanen Genüssen freut, aber unter euren Heiligen werdet ihr nicht einen einzigen finden, der nicht nach ewigen Genüssen verlangt und strebt. Ihre Gier ist weit größer. Unter gewöhnlichen Menschen mag ein ungieriger Mensch zu finden sein, aber unter euren so genannten Heiligen könnt ihr keinen ungierigen Menschen finden. Sie wollen auch Genüsse, aber sie sind gieriger als ihr. Ihr gebt euch mit momentanen Genüssen zufrieden, sie nicht. Ihre Gier ist größer. Ihre Gier ist nur durch ewige Genüsse zu befriedigen.
Grenzenlose Gier will grenzenlose Genüsse, denkt daran. Begrenzte Gier wird durch begrenzten Genuß befriedigt. Sie werden euch fragen: »Was gebt ihr euch mit einer Frau ab? Sie ist nichts als Knochen und Blut. Schaut tiefer in die Frau, die ihr liebt — woraus besteht sie?« Sie haben nichts gegen die Frau, sie haben etwas gegen die Knochen, das Blut, gegen den Körper. Aber wenn die Frau aus Gold ist, dann ist es okay. Sie wollen eine Frau aus Gold!


Solche Frauen sind aber in dieser Welt nicht zu finden, also erfinden die Gierigen eine andere Welt. Sie sagen: »Im Himmel, da gibt es goldene Fräuleins, Apsaras, die schön sind und nie altern.« Im Himmel der Hindus bleiben die himmlischen Mädchen, die Apsaras, immer sechzehn Jahre alt. Sie werden nie älter. Sie sind immer sechzehn. Nicht weniger, nicht mehr. Was verschwendet ihr also eure Zeit mit diesen gewöhnlichen Frauen? — denkt an den Himmel! Sie sind also nicht gegen den Genuß. In Wirklichkeit sind sie gegen den vergänglichen Genuß.


Wenn Gott aus irgendeiner Laune heraus dieser Welt ewige Genüsse schenken würde, würde der ganze Bau eurer Religion zusammenbrechen; der ganze Reiz wäre weg. Wenn es einen Weg gäbe, Bankkonten ins Jenseits mitzunehmen, dann wäre kein Mensch mehr daran interessiert, Bankkonten im Jenseits anzulegen. Der Tod ist also ein guter Geschäftsfreund der Priester.


Ein gieriger Mensch rennt von einer Gier zur anderen. Wenn du ihm erzählst und ihm plausibel machst, daß es seine Habgier ist, was ihn unglücklich macht, und daß er sich die Seligkeit damit erhandeln kann, daß er die Habgier aufgibt, dann versucht er es vielleicht damit, denn das geht nicht wirklich gegen seine Habgier. Du lockst seine Gier mit neuen Genüssen. Seine Gier kann zu neuen Weidegründen weiterziehen. Tantra sagt also, daß ein gieriger Sinn nicht nicht-gierig werden kann, daß ein gewalttätiger Sinn nicht nicht-gewaltsam werden kann. Aber das macht sehr hoffnungslos. Wenn es so ist, ist nichts zu machen. Wofür steht Tantra dann? Wenn ein gieriger Sinn nicht ungierig werden kann, und ein gewaltsamer Sinn nicht gewaltlos, und ein sexbesessener Sinn nicht vom Sex loskommt, wenn da nichts zu machen ist, wofür steht Tantra dann? Tantra sagt nicht, daß nicht etwas getan werden könnte. Aber das passiert auf einer völlig anderen Ebene.


Ein gieriger Mensch muß zunächst einsehen, daß er gierig ist und das auch akzeptieren, und nicht versuchen, nicht-gierig zu sein. Der gierige Mensch muß tief in sich hineinschauen, um die Tiefe seiner Gier auszuloten; und er darf nicht vor ihr davonlaufen, sondern muß mit ihr leben, darf sich nicht in Ideale flüchten, zum idealen Gegenteil, zum Gegensatz-Ideal. Er muß bei der Gegenwart bleiben, ganz in die Gier eintauchen, die Gier ausforschen, die Gier verstehen, und auf keine Weise versuchen, vor ihr davonzulaufen. Wenn du bei deiner Gier bleiben kannst, werden viele Dinge geschehen. Wenn du bei deiner Gier bleiben kannst, bei deinem Sex, bei deiner Wut, wird sich dein Ego auflösen. Das wird das erste sein — und was für ein großes Wunder das ist!


Viele kommen zu mir und wollen wissen, wie man egolos wird. Ihr könnt nicht egolos sein, weil ihr euch die Wurzeln eures Egos anschauen müßt, bevor ihr es sehen könnt. Ihr seid gierig, glaubt aber, es nicht zu sein: Das ist das Ego. Wenn du gierig bist, und auch weißt und total akzeptierst, daß du gierig bist, wieviel Boden gibst du dann noch deinem Ego? Wenn du wütend bist und sagst, daß du wütend bist — es nicht etwa andern sagst, sondern tief in dir selbst fühlst, und deine Hilflosigkeit dazu — wieviel Boden hat dann die Wut noch? Wenn du sexuell bist, akzeptiere es. Was immer da ist, akzeptiere es.


Die Natur nicht zu akzeptieren — das bringt das Ego hervor; dein Sosein, dein Tathata nicht zu akzeptieren — das, was du bist. Wenn du es akzeptierst, wird das Ego nicht mehr da sein. Wenn du es nicht akzeptierst, wenn du es verwirfst, wenn du Ideale dagegensetzt, dann kommt das Ego. Ideale sind der Stoff, aus dem das Ego gemacht ist.


Akzeptiere dich selbst. Aber dann kommst du dir ja vor wie ein Tier! Du wirst dir nicht wie ein Mensch vorkommen, denn dein Konzept vom Menschen beruht auf deinen Idealen. Darum können wir es nicht lassen, andere zu ermahnen, nicht wie die Tiere zu sein — dabei ist jeder ein Tier! Was kann man tun? Du bist ein Tier. Akzeptiere deine Animalität. Und im gleichen Augenblick, wo du deine Animalität akzeptierst, hast du den ersten Schritt getan, über das Tier in dir hinauszugehen. Denn kein Tier weiß, daß es ein Tier ist. Nur der Mensch kann es wissen. Und damit transzendiert er es. Ihr könnt es nicht transzendieren, indem ihr es ableugnet. Akzeptiert es. Wenn es akzeptiert worden ist, werdet ihr plötzlich merken, daß ihr es transzendiert habt. Wer akzeptiert denn? Wer ist es, der das ganze akzeptiert? Die Instanz, die akzeptiert, ist dieselbe, die auch transzendiert. Was ihr leugnet, mit dem bleibt ihr auf gleicher Stufe. Was ihr akzeptiert, das laßt ihr hinter euch. Akzeptieren heißt Transzendieren. Und wer sich selbst total akzeptiert, wird plötzlich in sein Zentrum gestoßen. Dann geht es nirgends mehr hin, dann könnt ihr euch nicht mehr von eurem Sosein entfernen, von eurer Natur, und damit seid ihr bei eurer Mitte angelangt. Alle diese tantrischen Techniken, die wir diskutieren und zu verstehen suchen, sind verschiedene Methoden, euch auf euer Zentrum zurückzuwerfen, euch von der Peripherie herunter zu stoßen. Und ihr versucht alles Mögliche, um eurem Zentrum auszuweichen. Ideale sind gute Ausreden. Idealisten sind die subtilsten Egoisten, die es überhaupt gibt.


Vieles passiert da. Du bist aggressiv und legst dir ein Ideal der Aggressionslosigkeit zu. Nun brauchst du nicht mehr in dich hineinzuschauen, in deine Gewalttätigkeit. Wozu auch? Nun brauchst du ja nur noch eines zu tun — immerzu über Gewaltlosigkeit nachzudenken, nachzulesen und sie so gut es geht zu praktizieren. Du sagst dir: »Finger weg von der Gewalt.« In Wirklichkeit aber bist du gewaltsam. Auf diese Weise gehst du dir selbst aus dem Weg. Du kannst dich an der Peripherie verstecken, aber so kommst du nie in dein Zentrum. Das ist das eine.


Zweitens darfst du, wenn du dir das Ideal der Gewaltlosigkeit aufstellst, andere verdammen. Jetzt geht das ganz leicht. Du besitzt das Ideal, mit dem du andere messen kannst. Und du kannst zu jedem sagen: »Du bist gewaltsam.« Indien hat viele solcher Ideale aufgestellt. Darum blickt Indien immer auf die ganze übrige Welt herab. Ganz Indien verdammt und verurteilt. Es verdammt die ganze Welt ständig. Alle andern sind so aggressiv! Nur Indien ist gewaltlos. Kein Mensch hier scheint mir gewaltlos zu sein, aber das Ideal ist ausgezeichnet geeignet, andere zu verdammen. Es verändert einen nie selbst, aber man kann gut andere verdammen, weil man das Ideal besitzt, den Maßstab. Und sollte man selbst aggressiv werden, so kann man es immer rationalisieren. Die eigene Aggressivität, das ist etwas ganz anderes!


In den vergangenen fünfundzwanzig Jahren ist Indien oft genug mit Gewalt vorgegangen, aber wir haben unsere eigene Gewalt nie verdammt. Wir haben sie stets mit den schönsten Begriffen zu bemänteln und zu rationalisieren gewußt. Wenn wir in Bengalen Gewalt anwenden, in Bangladesh, dann sagen wir, daß es uns nur um die Freiheit der Leute dort geht. Wenn wir in Kaschmir Gewalt anwenden, dann nur, um den Kaschmiris zu helfen.


Aber alle Kriegsanstifter reden die gleiche Sprache. Wenn Amerika Gewalt in Vietnam anwendet, dann geschieht es, »diesen armen Menschen« zu helfen. Niemand tut es im eigenen Interesse. Niemand ist es je gewesen. Wir sind immer nur aggressiv, um andern zu helfen. Selbst wenn ich dich töte, dann nur zu deinem Besten. Um dir zu helfen. Und selbst wenn du dabei draufgehst, selbst wenn ich dich töte, dann vergiß bitte nicht, daß es mein Erbarmen mit dir ist. Sogar zu deinem eigenen Besten kann ich dich töten. Verurteilt also die ganze Welt ruhig weiter . . .


Als Indien Goa überfiel, als Indien Krieg gegen China führte, kritisierte Bertrand Russell unseren Nehru und sagte: »Wo ist jetzt eure Gewaltlosigkeit? Ihr seid doch das Gandhi-Volk! Wo ist jetzt eure Gewaltlosigkeit?« Nehru antwortete darauf, indem er Bertrand Russells Buch in Indien verbot. Das Buch, das Russell schrieb, wurde verboten. Das ist unser Geist der Gewaltlosigkeit.


Das war eine gute Diskussion. Das Buch hätte umsonst verteilt werden sollen — denn Russell argumentierte sehr schön. Er sagte: »Ihr seid ein gewaltsames Volk. Eure Gewaltlosigkeit war nur politisch. Euer Gandhi war kein Weiser. Er war nur ein diplomatischer Kopf. Und ihr alle redet von Gewaltlosigkeit, aber sobald der richtige Augenblick kommt, werdet ihr gewaltsam. Wenn andere Krieg führen, setzt ihr euch aufs hohe Roß und verdammt die ganze Welt als aggressiv.«


Das gilt für Individuen, für Gesellschaften, für Kulturen, für Nationen. Wenn man Ideale hat, braucht man sich nicht zu ändern. Man kann immer hoffen, in Zukunft von den Idealen selbst verändert zu werden. Und darüber hinaus darf man die andern ständig verdammen.
Tantra sagt: Bleibe bei dir. Was immer du bist, akzeptiere es. Verdamme nicht dich, verdamme nicht andere. Verdammung ist zwecklos. Energien lassen sich so nicht verändern.


Der erste Schritt ist Akzeptieren. Bleibe beim Tatsächlichen. Das ist sehr wissenschaftlich. Bleibe bei dem Faktum der Wut, der Gier, des Sex. Und lerne das Tatsächliche in seiner ganzen Tatsächlichkeit kennen. Streife sie nicht nur so obenhin, sondern erkenne die Tatsache in ihrer Totalität, in ihrer totalen Tatsächlichkeit. Geh bis in die Wurzeln hinein. Und vergiß nicht, daß du alles transzendierst, was du bis in die Wurzeln erkannt hast. Wenn du deinen Sex bis in die Wurzeln kennst, wirst du ihn meistern. Wenn du deine Wut bis in die Wurzeln erkannt hast, wirst du ihr Meister. Dann wird Wut zum bloßen Werkzeug — du kannst sie nutzen.


Mir fällt hier Gurdjieff ein. Gurdjieff lehrte seine Schüler »auf die rechte Art« wütend zu sein. Von Buddha kennen wir das Wort von der »rechten Meditation«, vom »rechten Denken«, von der »rechten Kontemplation«. Von Mahavir stammt die Lehre von »der rechten Sicht und dem rechten Wissen«. Gurdjieff lehrte die »rechte Wut und die rechte Gier«, und diese Lehre war von der alten Tantra-Tradition beeinflußt. Gurdjieff wurde im Westen sehr verdammt, weil er für den Westen ein lebendiges Tantra-Symbol war.


Er lehrte die »rechte Wut«. Er lehrte, wie man total wütend sein konnte. Wenn jemand wütend wurde, sagte er: »Weiter! Halte nicht zurück, laß es in seiner Totalität heraus. Geh rein. Werde zu Wut. Bremse dich nicht, bleib nicht draußen stehen. Spring tief hinein. Laß deinen ganzen Körper zur Flamme, zu Feuer werden.«


Ihr seid noch nie so tief gegangen, und ihr habt es nie bei jemandem beobachtet, weil sich jeder mehr oder weniger gut benimmt, zivilisiert. Niemand ist ursprünglich. Jeder ahmt mehr oder weniger nach. Kein Mensch ist ursprünglich!


Wenn ihr ganz in der Wut aufgehen könntet, würdet ihr einfach zu Feuer, zu einem einzigen Brennen. Das Feuer wäre so tief, die Flammen wären so tief, daß Vergangenheit und Zukunft augenblicklich aufhören würden zu existieren. Ihr würdet zu einer Flamme von Gegenwart. Und wenn jede Zelle in dir entflammt ist, und jeder Teil deines Körpers zu Feuer geworden ist, wenn du Wut bist, (nicht nur wütend), dann, so sagt Gurdjieff: »Sei bewußt. Unterdrücke es nicht, sei jetzt bewußt. Sei dir jetzt plötzlich bewußt, was aus dir geworden ist, was Wut tatsächlich ist.«.


In diesem Moment totaler Gegenwärtigkeit kann man plötzlich bewußt werden und über die Absurdität der ganzen Sache lachen, über die Narrheit, die Dummheit der ganzen Sache. Aber das ist nicht mehr Verdrängung, das ist Lachen. Du kannst über dich selbst lachen, weil du dich transzendiert hast. Nie wieder wird die Wut dich überwältigen können . ..


Du hast die Wut in ihrer Ganzheit kennengelernt und konntest trotzdem lachen und konntest trotzdem über sie hinausgehen. Du konntest deine Wut von jenseits deiner Wut her sehen. Hast du nur einmal ihre Totalität gesehen, weißt du, was Wut ist. Und jetzt weißt du auch, daß du selbst dann noch, wenn deine ganze Energie zu Wut verwandelt wird, ein Beobachter, ein Zeuge bleiben kannst. Darum hast du nun keine Angst mehr. Vergeßt nicht: Nur was man nicht kennt, erweckt Angst. Das Dunkle weckt immer Angst. Ihr habt Angst vor eurer eigenen Wut.


Darum sagen die Leute immer, wir sollen die Wut unterdrücken: Es könnte anderen schaden. Aber das ist nicht der wahre Grund. Der wahre Grund ist, daß sie Angst vor ihrer Wut haben: Was könnte passieren, wenn sie wirklich wütend werden? — sie wissen es nicht! Sie haben Angst vor sich selber. Sie haben die Wut nie kennen gelernt. Es lauert etwas Fürchterliches im Innern, wovor sie Angst haben. Darum passen sie sich lammfromm der Gesellschaft an, ihrer Kultur, ihrer Erziehung, und sagen: »Wir dürfen nicht wütend werden, Wut ist böse, sie tut anderen weh.«


Ihr habt Angst vor eurer Wut, ihr habt Angst vor eurem Sex. Ihr seid nie ganz in den Sex hineingegangen. Ihr seid nie so total in den Sex hineingegangen, daß ihr euch ganz vergessen habt. Ihr wart immer da, die Gedanken waren immer dabei. Und wenn die Gedanken im Sex noch dabei sind, denn ist der Sexakt nur Pseudo, Mache. Das Denken muß sich auflösen; man muß ganz Körper werden. Es darf kein Denken mehr da sein. Wenn das Denken noch da ist, ist man geteilt. Dann heißt Sex nichts weiter, als einen Überschuß Energie loszuwerden. Ein Dampf ablassen, nichts weiter. Aber ihr habt Angst, total im Sex zu sein: Darum paßt ihr euch an, zieht ihr mit der Gesellschaft am selben Strang und sagt, daß der Sex schlecht sei. Ihr habt Angst!


Warum habt ihr Angst? Ihr begebt euch nicht ganz in den Sex hinein und wißt deshalb nicht, was ihr dann vielleicht anstellen könntet, was passieren, was für eine animalische Kraft in euch hochkommen könnte; ihr wißt nicht, in was für Abgründe euch euer Unbewußtes werfen könnte. Ihr wißt es nicht! Ihr seid nicht mehr Herr der Sache; ihr habt euch nicht mehr unter Kontrolle. Euer Selbstbild könnte kaputtgehen. Darum kontrolliert ihr den Sexakt. Und die beste Methode, ihn zu kontrollieren, ist es, im Kopf zu bleiben. Den Sexakt zwar zuzulassen, aber nur lokal.


Versucht den Unterschied zwischen lokal und total zu verstehen. Tantra sagt, daß ein Sexakt dann lokal ist, wenn nur das Sexzentrum betroffen ist. Er ist lokal, eine lokale Entladung. Das Sexzentrum speichert immerzu Energie. Wenn sie überfließt, mußt du sie freisetzen. Sonst entstehen Spannungen, entsteht eine Last. Du gibst sie frei, aber das ist eine lokale Entspannung. Dein ganzer Körper, dein ganzes Selbst ist nicht davon betroffen. Ein nicht-lokales, ein totales Bei-der-Sache-Sein bedeutet, daß jede Faser deines Körper, jede Zelle deines Körpers, daß alles, was du bist, mit hineinkommt. Dein ganzes Wesen ist sexuell geworden, nicht nur dein Sexzentrum.

 

Aber das macht Angst, denn nun ist alles möglich. Und du weißt nicht, was passieren kann, weil du deine Totalität nie kennengelernt hast. Du könntest Dinge tun, die du dir jetzt gar nicht vorstellen kannst.


Dein Unbewußtes wird explodieren. Du wirst nicht nur zu einem Tier, sondern zu vielen Tieren, denn du hast viele Leben hinter dir, du bist durch viele Tierkörper gegangen. Du könntest heulen wie ein Wolf; du könntest kreischen; du könntest brüllen wie ein Löwe. Du weißt nicht, was noch alles . ..


Alles ist möglich — und daher die Angst. Du mußt in Kontrolle bleiben, und darum verlierst du dich nie in etwas, darum lernst du nie etwas kennen. Und was du nicht kennengelernt hast, kannst du nicht hinter dir lassen.


Akzeptiere; gehe tief, tief bis zu den Wurzeln hinunter. Das ist Tantra. Tantra steht für tiefe Erfahrungen. Alles Erfahrene kann transzendiert werden; alles Verdrängte kann nie und nimmer transzendiert werden.

 

Aus "Das Buch der Geheimnisse" von Osho

 


Vigyana Bhairava Tantra

 

»Vigyana Bhairava Tantra« ist eine alte tantrische Schrift, die der indischen Mythologie zufolge von Gott Shiva der Welt überbracht wurde. Sie enthält nicht weniger als 112 Meditationstechniken. Sie bilden die Grundlage aller Meditationstechniken überhaupt — so sagt uns Osho (Bhagwan Shree Rajneesh). Jeder wird unter diesen Techniken mindestens eine finden, die ihm angemessen ist. Wie ein Archäologe wertvolle Funde aus den Tiefen der Geschichte zutage fördert und ihre Bedeutung in einer neuzeitlichen Weise deutlich macht, so hat Bhagwan die uralten Texte der »Vigyana Bhairava Tantra« mit der Einsicht des Weisen durchdrungen und sie uns in einer klaren modernen Sprache erläutert. Wer seine Diskurse gelesen hat, wird gewiß dazu angeregt, mit seinen Meditationstechniken zu experimentieren.


Das Buch der Geheimnisse gibt viele wertvolle praktische Hinweise für jeden, der sich durch die Wissenschaft der Meditation verwandeln möchte.


»Tantra«, heißt Technik, so erklärt Osho. Es bedeutet »die Technik, die Methode, der Weg« und »Vigyana Bhairava Tantra« heißt »die Technik, über das gewöhnliche Bewußtsein hinauszu-gelangen«. »Vigyana« heißt Bewußtsein, und »Bhairava« ist der Zustand jenseits des gewöhnlichen Bewußtseins. Man kennt Shiva auch als »Bhairava«, und Devi, seine Gemahlin, als »Bhai-ravi« — als diejenigen, die alle Dualität hinter sich gelassen haben. Shiva übermittelt Devi diese 112 Methoden; sie stehen in einer tiefen Liebesbeziehung zueinander.


»Nicht eine einzige Methode kann diesen 112 Methoden Shivas hinzugefügt werden«, sagt Osho, »und dies >Vigyana Bhairava Tantra< ist 5000 Jahre alt.«

 

Das Buch der Geheimnisse enthält 16 Diskurse Osho`s, gehalten vom 1. Oktober bis 19. Oktober 1972 in Bombay, Indien. Er spricht darin über Sutras aus der »Vigyana Bhairava Tantra« (die 112 Meditationstechniken des Gottes Shiva) und beantwortet Fragen seiner Sannyasins.

 

Osho