Osho Mahabodhi Meditation-Center

Heidelberg

Osho Diskurse

 

Halb zu leben, heißt gar nicht zu leben

Die Religionen haben euch verdammt, absolut verdammt. Sie haben alles Natürliche verdammt, und durch diese Verdammung haben sie große Schuld in euch erzeugt. Euer ganzes Herz ist voller Schuld. Diese Schuld lähmt euch. Sie erlaubt euch nicht, total zu leben. Sie erlaubt nicht, daß euer Tanz zum Höhepunkt kommt, zum Crescendo. Sie läßt nicht zu, daß ihr jauchzt und singt und euch freut. Sie unterdrückt euch. Ich kann solche Vorstellungen nicht unterstützen.

 

Jesus sagt: "Führe uns nicht in Versuchung... " Von welcher Versuchung spricht er? Was für Versuchungen gibt es? Das Leben ist so einfach! Aber man kann gewisse Dinge als "Versuchungen" bezeichnen, und dann werden sie zu Versuchungen.

 

Ein Beispiel: Ich wurde in einer Jain-Familie geboren, unglücklicherweise, aber da läßt sich nichts mehr ändern. Man hat nur die Wahl zwischen dem einen oder anderen unglücklichen Zustand. Bis zu meinem achtzehnten Lebensjahr hatte ich noch keine einzige Tomate gegessen, denn Jains sind absolute Vegetarier, und die arme Tomate hat die Farbe von Fleisch, die Farbe! Sonst ist weiter nichts, aber schon die Farbe reicht den Jains, um sich zu ekeln. Tomaten kamen nicht ins Haus, ich hatte noch keine probiert.

 

Als ich achtzehn Jahre alt war, machte ich mit einigen meiner Hindu-Freunde ein Picknick. Ich war der einzige Jain, die anderen waren alle Hindus. Und bis zu dem Zeitpunkt hatte ich auch noch nie zur Nachtzeit gegessen, denn die Jains essen nie nachts, das ist eine große Sünde, denn nachts könnte dir eine Mücke ins Essen fallen oder ein Insekt draufkriechen, und ohne es zu wissen, ißt du etwas Lebendiges. Dafür kommst du in die Hölle! Also muß man am Tage essen, wenn es richtig hell ist. Man darf nachts noch nicht einmal Wasser trinken, denn in der Nacht, wer weiß? - ohne daß du es merkst, könntest du etwas töten.

 

So hatte ich bis zu meinem achtzehnten Lebensjahr noch nie zur Nachtzeit gegessen und auch noch keine Tomate probiert. Das waren gewaltige Versuchungen! Ich hatte auf dem Markt Tomaten gesehen, und sie waren wirklich verführerisch, wie sie da so meditativ saßen, so ganz in ihrer Mitte, so in sich ruhend. Kartoffeln sind bei den Jains ebenfalls verpönt, weil sie unter der Erde wachsen, und alles, was im Dunkeln wächst, ist gefährlich: es könnte deine Seele mit Dunkel füllen, wenn du es ißt.

 

Als ich zu diesem Picknick mitging, zu diesem Ausflugsort in den Bergen, genossen meine Freunde die Berge so sehr, die ganze Schönheit und die Burgen, daß niemand es eilig hatte, eine Mahlzeit zuzubereiten. Und ich bin von Kindesbeinen an ein fauler Mensch, ich kann kein Essen kochen. Ich kann vieles andere auskochen... aber Essen kann ich nicht kochen, nicht einmal meinen Tee. Ich mußte also warten, bis sie sich dazu entschlossen.

 

Ich hatte Hunger, der lange Weg und die frische Bergluft! Ich hatte Hunger, und die Nacht kam näher, und ich bekam Angst: " Was soll werden? Wenn sie erst in der Nacht das Essen kochen, muß ich ohne Essen schlafen gehen." Und mein Magen knurrte mir schon. Dann begannen sie, das Essen zu kochen, und gewaltige Versuchungen: Tomaten, Kartoffeln, dazu der wunderbare Duft der Speisen. Ich schwankte hin und her: sündigen oder standhalten? Einen Moment entschied ich: "Es ist besser, eine Nacht ohne Essen zu schlafen, als Hölle und Höllenfeuer zu erleiden, bloß wegen ein paar Tomaten und Kartoffeln. Ich werde schon nicht sterben."

 

Aber der Hunger war zu stark. Und dann fiel mir das Argument ein: Wenn alle meine Freunde in die Hölle müssen, was soll ich dann allein im Himmel machen? Es ist besser, zusammen mit meinen Freunden in der Hölle zu sein, als mit diesen dummen Jain-Heiligen zusammen im Himmel. Zumindest kann man in der Hölle Tomaten kochen und Kartoffeln, man kann gut essen, Feuer ist genug da. Sogar ich könnte dort kochen!

 

Und sie versuchten alle, mich zu überzeugen: "Außer uns ist niemand da, und wir werden deiner Familie auch nichts sagen. Niemand wird erfahren, daß du nachts gegessen hast, daß du Tomaten und Kartoffeln gegessen hast."

 

Zögernd gab ich nach. Aber ich konnte nicht eher einschlafen, als bis ich mich mitten in der Nacht erbrochen hatte. Niemand sonst erbrach sich, sie lagen alle da, schliefen tief und schnarchten, nur ich erbrach mich. Es war meine Psychologie, denn ich litt unter der Vorstellung, eine Sünde begangen zu haben. Es waren nicht die Tomaten, die ich erbrach, sondern meine Erziehung. Und an jenem Tage wurde mir klar, absolut klar, daß man das Leben nur dann total leben kann, wenn man sich von allen anerzogenen Grundsätzen löst. Sonst lebt man nur halb. Und halb zu leben, heißt gar nicht zu leben.

 

Osho